Die Syrian Cantina (syrische Kantine) in Montreuil: Organisieren im Exil

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Wie Geflüchtete den revolutionären Kampf in der Fremde fortsetzen können

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Vor elf Jahren, am 15. März 2011, brachen in Syrien Proteste gegen das Regime von Bashar al-Assad aus. In den folgenden Jahren kam es zu einer Revolution, die einen Großteil des Landes der Kontrolle Assads entriss. Da jedoch Regierungen auf der ganzen Welt eingriffen, um verschiedene Fraktionen zu unterstützen, wurde der Kampf immer gewalttätiger und gipfelte schließlich im Aufstieg des Islamischen Staates auf der einen Seite, während die russische Regierung auf der anderen Seite eingriff, um Assad die Machterhaltung zu einem enormen Preis an Menschenleben zu ermöglichen. Millionen von Syrer*innen waren gezwungen zu fliehen.

In Paris gründeten einige Exilant*innen der syrischen Revolution die Syrian Cantina, ein Gemeinschaftszentrum, das einen Raum für soziale Bewegungen und Organisationsveranstaltungen bietet, um Revolutionär*innen und grass roots organizers aus der ganzen Welt zusammenzubringen. Im folgenden Interview erzählen die Teilnehmer*innen, wie sie im Laufe der Revolution politisiert wurden, beschreiben die Herausforderungen, was es beudeutet, in einem neuen Land organizer zu werden, und analysieren die Ursprünge eines falschen »Antiimperialismus«, der die Stimmen der Menschen zum Schweigen bringt, deren Interessen er zu verteidigen vorgibt. In einer Zeit, in der Millionen von Menschen ins Exil getrieben werden, von Afghanistan und der Ukraine bis zum Sudan und Haiti, ist dies ein unschätzbares Dokument darüber, wie Geflüchtete ihre Organisierung in neuen Kontexten fortsetzen können, wie locals dazu beitragen können, dies zu ermöglichen, und welche Bedeutung internationale Solidarität hat.

Mittagessen im Maison Ouverte (dem offenen Haus), dem ersten Raum, der die Syrian Cantina beherbergt.


Stellt bitte zunächst die Syrian Cantina vor.

L-: Einige von uns haben sich 2018 bei einer Besetzung der Universität Paris 8 kennengelernt, als wir die generelle Legalisierung der sans-papieres forderten, die in jenem Winter auf der Straße lebten. Einige von uns halfen bei der arabischen Übersetzung, andere beim Kochen, wieder andere bei der Vermittlung und den Verhandlungen. Das war die erste entscheidende Begegnung zwischen einigen der Französ*innen und Syrer*innen, die heute Mitglieder der Cantina sind. Einige Monate später gab es weitere Universitätsbesetzungen: einige konzentrierten sich auf den Kampf der Geflüchteten, andere auf den Kampf der Student*innen. Mit einer Gruppe syrischer Student*innen dachten wir, dass wir uns in die Student*innenbewegung einbringen und unseren Aktivismus nicht auf die Flüchtlingsfrage beschränken sollten. Wir begannen, auf besetzten Universitäten zu sprechen, um über die Mobilisierung der Student*innen in Syrien während der Revolution zu berichten. Dies ermöglichte mehr Begegnungen und Verbindungen mit den »linksradikalen« Kreisen in der Pariser Region.

Ende 2018 brach die Bewegung der Gelbwesten aus, an der sich sowohl Syrer*innen als auch Französ*innen beteiligten, die später Mitglieder der Cantina wurden. Im darauffolgenden März luden uns einige Genoss*innen, die an den Gelbwesten-Protesten von Montreuil beteiligt waren, ein, am Jahrestag der syrischen Revolution über Selbstorganisation und die Lehren, die wir aus unseren Erfahrungen für den gerade stattfindenden Aufstand ziehen konnten, zu sprechen. Für uns war klar, dass wir uns in Montreuil organisieren wollten, zumal wir gerade unser Studium beendeten und unsere politische Tätigkeit über die Student*innenbewegung und die Kämpfe der Geflüchteten hinaus fortsetzen wollten.

Die Syrian Cantina entstand aus unserem Wunsch, einen Raum für die Selbstorganisation von Geflüchteten zu schaffen und aus dem Bedürfnis, uns in Frankreich wieder ein Gefühl von »Zuhause« zu geben.

Die Syrian Cantina trägt mit einem Abendessen zum ersten Jahrestag der Gelbwestenbewegung bei.

D-: Wir wollten die Revolution sowie unseren Weg fortsetzen und unsere Ziele aus der syrischen Revolution weiterverfolgen. Wir wollen uns nicht damit abfinden, im Exil ruhig und still zu bleiben. In Frankreich ist es möglich, viele Dinge zu tun, es gibt viele politische Bewegungen und Gemeinschaften, die wir organisieren und mit denen wir Erfahrungen austauschen können, um Solidarität aufzubauen und zu beweisen, dass Freiheit möglich ist. Die Menschen in Frankreich haben eine Menge Erfahrung mit revolutionären Aktivitäten. Außerdem wollten wir zeigen, dass es eine Alternative sowohl zu Assad als auch zu den IslamistInnen gibt.

L-: Wir kochen dreimal pro Woche und geben unser kulinarisches Erbe weiter, zum Beispiel durch Kochkurse. Gleichzeitig organisieren wir Konzerte, Filmvorführungen, Ausstellungen und Ähnliches. Die Idee war, Verbindungen zwischen verschiedenen Sphären zu schaffen: ein kultureller Raum für gegenseitige Hilfe und transnationale Solidarität. Deshalb bieten wir auch Sprachkurse in Arabisch und Französisch an. Wir organisieren auch regelmäßig Diskussionen – zum Beispiel über die Verbindungen zwischen dem syrischen und dem palästinensischen Kampf, über die jüngsten Mobilisierungen im Sudan gegen den Militärputsch oder über Begegnungen mit Exil-Genoss*innen aus Afghanistan, die uns über die dortige Lage informieren. Alle unsere Aktivitäten sind kostenlos oder nach dem Prinzip »Zahl-soviel-wie-du-kannst«. Schließlich haben wir zwei große jährliche Veranstaltungen: eine ist der Jahrestag der syrischen Revolution und die andere ist unser internationalistisches Festival »The People want«, zu dem wir Genoss*innen aus der ganzen Welt einladen. Bei der letzten Veranstaltung im November 2021 kamen die Teilnehmer*innen aus Indien, Chile, Griechenland, Iran, Sudan, Libanon und den Vereinigten Staaten. Wir haben über das Potenzial des internationalen Feminismus diskutiert, alte und neue Formen des Internationalismus erörtert und revolutionäre Hypothesen verglichen. Derzeit bereiten wir die vierte Konferenz vor.

Wir befinden uns in einem selbstorganisierten sozialen Zentrum namens AERI [Ateliers d’expérimentations révolutionnaires et imaginaires – Werkstatt für revolutionäre und imaginäre Experimente]. Es ist ein Raum für Solidarität und gegenseitige Hilfe, an dem Dutzende von anderen Kollektiven an Aktivitäten beteiligt sind. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichem Hintergrund treffen und organisieren sich in diesem Raum. Alles ist entweder kostenlos oder man zahlt, was man kann. Es gibt Aktivitäten wie Yoga oder feministische Kampfsportarten, 3D-Druck- und Programmierworkshops, eine Bäckerei, ein Fotolabor und vieles mehr. Natürlich gibt es auch Kollektive wie die Gelbwesten, die eine eigene Kantine haben, und die Brigaden der Volkssolidarität, die während der Abriegelung sehr aktiv in der gegenseitigen Hilfe waren. Es ist gut, dass wir uns inmitten dieser Vielfalt von Praktiken und Ansätzen befinden; dieser Raum gibt uns die Möglichkeit, uns und unsere Arbeit in dem aktiven und rebellischen Gebiet von Montreuil zu verankern und zum Aufbau der lokalen Autonomie beizutragen. Er gibt uns auch die Möglichkeit, ein breites Spektrum von Menschen zu treffen, von Nachbar*innen, die keine Beziehung zu einer politischen Gemeinschaft haben, aber neugierig sind, den Raum zu entdecken, bis hin zu politischen Aktivist*innen, die an Kämpfen im Zusammenhang mit Migration oder Wohnen beteiligt sind.

Ein Konzert im AERI-Raum.

Regelmäßig organisieren wir auch Veranstaltungen mit französischen Kollektiven oder Geflüchteten/Exil-Aktivist*innen in Frankreich. Letztes Jahr waren wir bei der ZAD in Sacaly und auf der Longo maï Farm im Süden. Schließlich arbeiten wir mit verschiedenen Kollektiven und Gruppen auf internationaler Ebene zusammen: Dank unseres jährlichen internationalistischen Festivals haben wir begonnen, ein kleines Netzwerk aufzubauen.

So haben wir uns kennengelernt und angefangen zusammenzuarbeiten.

Einer meiner Träume ist es, an der Schaffung einer Art Bewegung von unten für die Selbstorganisation von Geflüchteten mitzuwirken. Nicht nur für Syrer*innen in Frankreich, sondern auch für andere Nationalitäten – und, warum nicht, auf europäischer Ebene, um den Anfang zu machen. Wie eine Internationale der Exilant*innen!

D-: Eines Tages würden wir die Cantina gerne in einem freien Syrien sehen. Im Moment ist eine syrische Cantina in Luxemburg eröffnet worden. Wir sind so glücklich und stolz, dass unser Projekt Menschen in einem anderen Land inspirieren konnte. Wir hoffen, dass weitere syrische Cantinas auf der ganzen Welt entstehen werden!

L-: Wenn es das nächste Mal einen Aufstand von Unten in Syrien gibt, hoffen wir, dass unsere Arbeit dazu beiträgt, die Gleichgültigkeit der Welt zu verringern, damit sich die Vernachlässigung, die Syrien seit 2011 erlitten hat, nie wieder wiederholt.

Welche Erfahrungen habt ihr mit der Politik in Syrien vor dem Aufstand gemacht?

L-: Als die ersten Proteste ausbrachen, war ich 18 Jahre alt. Ich glaube nicht, dass ich ohne die syrische Revolution so politisch aktiv gewesen wäre, wie ich es heute bin. Vor der Revolution habe ich immer gesagt, dass ich die Politik hasse; ich sah sie ausschließlich in Form von staatlicher Politik, und als solche war sie voller Lügen und Betrug. Vor der Revolution war die Politik in Syrien fast ausschließlich die Domäne der Regierung. Außerdem waren die Propaganda und die Überwachung durch das Regime allgegenwärtig und unausweichlich. Wir mussten das schon in der Grundschule ertragen (wo wir alle gezwungen wurden, Mitglied der Baath-Partei zu werden). Ich wollte mich gegen das auflehnen, was ich als autoritär empfand, auch wenn ich es damals noch nicht als solches bezeichnen konnte. Für mich war es eher eine Art Diktion oder eine instinktive Ablehnung der äußerst strafenden und inkompetenten Autorität, mit der wir in der Schule und in der Gesellschaft insgesamt zu tun hatten. Mit 17 Jahren wurde ich von der High School geworfen, nachdem ich einen Streit mit dem »Nationalismus«-Lehrer hatte. Am nächsten Tag teilte mir der Schuldirektor mit, dass die Eltern einiger meiner Mitschüler angerufen hätten, um mir zu sagen, dass ich den Unterricht ihrer Kinder stören würde. Meine, aus der unteren Mittelschicht kommende Familie, war politisiert, aber das habe ich erst nach der Revolution wirklich verstanden.

D-: Ich habe im Sportbereich gearbeitet. Zuerst war ich Trainerin, dann habe ich angefangen, Koordinations- und Büroarbeit für verschiedene Verbände zu machen: den arabischen Frauensportverband und den syrischen Frauenfußballverband. In den 1980er Jahren habe ich mich heimlich in einer politischen Partei engagiert.

A-: In den 1980er Jahren hatte man kein Recht auf ein normales Leben, wenn man sich in irgendeiner Form politisch betätigte, die nicht von der Regierung im Rahmen der Einheitspartei erlaubt war, oder wenn man der Parteilinie nicht gehorchen wollte. Mein Vater war in einer linken Bewegung aktiv. Wegen seiner Aktivitäten hatten es meine Eltern schwer, Arbeit zu finden. Ich begann, zu den Treffen der Partei zu gehen, in der mein Vater aktiv war. Ich nahm auch an runden Tischen und an der Organisation von Demonstrationen zur Unterstützung der arabischen Länder teil. Wir protestierten für Palästina und dann für den Irak, da dies die einzigen Demonstrationen waren, die wir abhalten durften. Bei den Demonstrationen skandierten wir Slogans gegen die arabischen Staatsoberhäupter, die sich aber teilweise auch an das Regime richteten. Obwohl die Partei, an der ich beteiligt war, öffentlich wurde, mussten viele militante Aktivitäten im Verborgenen bleiben. An der Universität war es sehr schwierig, politisch aktiv zu sein; die Studierendenvereinigungen wurden vom Regime kontrolliert und stark überwacht.

R-: Wie viele Syrer*innen vor dem Ausbruch der Revolution beschränkten sich meine Aktivitäten auf zaghafte Kritik am Regime im privaten Bereich der Familie. Mein Vater ist ein ehemaliger Regimegegner; ich wuchs inmitten ehemaliger kommunistischer Aktivist*innen und ehemaliger Gefangener auf.

Mir wurde schnell klar, dass man angesichts der Überwachung und Repression sein Leben riskiert, wenn man sich politisch engagiert. Als ich zum ersten Mal von dem Massaker in Hama erfuhr, das im Februar 1982 auf Befehl von Hafez al-Assad stattfand, war ich neun Jahre alt. Ich sah alte Einschusslöcher an der Stadtmauer von Hama und fragte meinen Vater danach, und er erzählte mir die Geschichte. Am nächsten Tag mussten wir in der Grundschule, wie üblich, Hafez al-Assad mit einigen Parolen verehren. Ich war so wütend, dass ich meiner Freundin aus Hama sagte, sie solle die Propagandasprüche nicht singen, weil Hafez in ihrer Stadt ein Massaker angerichtet habe. Ein paar Stunden später rief der Vater meiner Freundin meinen Vater an und bat ihn, mich zum Schweigen zu bringen. Die Menschen hatten Angst voreinander.

Geschichten von Unterdrückung, Gefängnis und Massakern haben einen tiefen Hass auf jede Autorität genährt, die das Leben auf seine grundlegenden Bedürfnisse (arbeiten, essen, schlafen) reduziert und jedes kreative und kritische Denken auslöscht.

Graffiti in Syrien im Dezember 2012: »Es ist fast soweit!!!«

Wie habt ihr die syrische Revolution erlebt?

L-: Ich erinnere mich, als die Proteste in Tunesien und Ägypten begannen, konnte ich mir die Möglichkeit eines Aufstandes in Syrien nicht einmal vorstellen. Ich dachte mir und sagte dies auch meinen Freund*innen: Die Risiken sind zu hoch. Nun, der Preis war zu hoch, aber in Syrien fand eine Revolution statt. Gleich in den ersten Monaten wurden einige Freund*innen verhaftet und gefoltert und mussten das Land verlassen. Ich habe mich nicht an der Organisation beteiligt, ich hatte zu viel Angst, im Gefängnis zu landen… Vergewaltigung ist eine gängige Methode in den Gefängnissen von Assad.

A-: Ich habe an den Demonstrationen in Douma, einem Vorort von Damaskus, teilgenommen. Im April, als ich in meine Heimatstadt zurückkehrte, wurde ich von der Polizei verhört und dann freigelassen. Zunächst wurden nicht viele Menschen verhaftet, die wie ich einer politischen Partei angehörten. Ich denke, das war eine Strategie, um herauszufinden, wer die Organisator*innen der Proteste waren. Dann kam ich auf die schwarze Liste des Regimes und wurde von der Universität verwiesen. Ich ging nach Aleppo und schloss mich dort heimlich dem Kampf an. Ich habe Dokumentations- und humanitäre Arbeit geleistet.

D-: Zu Beginn dieser Revolution war ich sehr stolz. Ich hatte so viel Dankbarkeit und Respekt für die Kinder von Daraa, die zu den ersten gehörten, die den Sturz des Regimes forderten und die schließlich die Geschichte des Landes veränderten. Gemeinsam mit vielen Sportler*innen habe ich die Hässlichkeit des Regimes aufgezeigt, indem ich eine Gruppe namens Free Syrian Athletes Association gegründet habe. Es gelang uns, an den Internationalen Verband zu schreiben und ihm Bilder und Dokumente vorzulegen, die zeigten, wie das Regime bekannte und beliebte Sportler*innen unter Druck setzte und versuchte, sie zu instrumentalisieren, um die Demonstrationen zu delegitimieren und zu unterdrücken.

Das Regime machte das Abbasieen-Stadion in Damaskus zu einem Militärstützpunkt. Wir hörten schreckliche Geschichten über die dort stattfindendenden Repressionen. Das Regime wollte die Identität von Orten ebenso verändern wie die Identität von Personen.

Wenn wir zu den Grundprinzipien des olympischen Sports zurückkehren, finden wir Frieden und Versöhnung. Wir finden die Ablehnung von Diskriminierung. Mit der Freien Syrischen Athletenvereinigung ist es uns gelungen, die Vertreter*innen des Syrischen Olympischen Komitees an der Teilnahme an der Konferenz des Internationalen Olympischen Komitees zu hindern, weil sie gegen die Charta der Olympischen Spiele verstoßen haben.

Ich denke, dass die Revolution eine Lebensweise ist, in der wir uns für das einsetzen, was gerecht ist, gegen alles, was veraltet ist, gegen alles, was sich als dysfunktional und nicht mehr gültig erwiesen hat. Sie ist ein Mittel, um mehr Gerechtigkeit zu erreichen, damit wir in einer schöneren Welt leben können. Die syrische Revolution war eine Notwendigkeit, sie ist ein hiesiger Schrei aus einer der ältesten bewohnten Hauptstädte der Geschichte gegen Tyrannei und alle Formen von Diktatur.

Graffiti in Syrien im Oktober 2012: »Ungläubiger an das Unmögliche«.

R-: Als sich die Aufstände in der arabischen Welt auszubreiten begannen, blieben wir vor dem Fernseher sitzen und verfolgten die Nachrichten. Ihr Anliegen war das unsere. Wir teilten die gleiche Erfahrung des Lebens unter verschiedenen repressiven Regimen. Ich erinnere mich noch, wie meine Familie Tränen vergoss, als im März die erste Demonstration in Syrien stattfand. Wir hätten das nie für möglich gehalten.

Nach und nach entwickelte sich ein Prozess der Koordination und Organisation der Bewegung auf mehreren Ebenen.

Ich war damals 16 Jahre alt, und mit einer Gruppe von Freund*innen haben wir es auf uns genommen, Demonstrationen zu organisieren, indem wir Graffiti und Slogans an die Wände malten, und zwar auf die Flächen der Oberschule. Wir haben den Unterricht geschwänzt, um die Leute mündlich über die Durchführung einer Demonstration an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit zu informieren, ohne das Telefon oder andere Kommunikationsmittel zu benutzen, die überwacht werden könnten.

Bemerkenswerterweise rückte während der Revolution die lokale Ebene, ihre Besonderheiten und ihr Einfluss wieder in den Vordergrund. Die Namen der kleinen Bezirke und der kleinen Städte kehrten zum Nachteil der großen Ballungszentren zurück. Es fand ein Aufstand von unten statt, währenddessen die Syrer*innen noch nie so geeint waren.

Für weitere Informationen über die syrische Revolution empfehlen wir die folgenden Bücher:

  • al-Shami, Leila; Yassin-Kassab: Burning Country: Syrians in Revolution and war (nur englisch)
  • Munif, Yasser: The Syrian Revolution: Between the Politics of Life and the Geopolitics of Death (nur englisch)
  • al-Haj Saleh, Yassin: The Impossible Revolution: Making Sense of the Syrian Tragedy (nur Englisch)

Graffiti in Syrien im Juli 2012: »Freiheit«.

Warum musstet ihr letztendlich aus Syrien fliehen? Wie waren eure Erfahrungen als Flüchtlinge?

D-: Die Entscheidung zu fliehen wurde unausweichlich, vor allem nachdem ich eine direkte Drohung erhalten hatte, in der mir befohlen wurde, zu schweigen und alle organisatorischen Aktivitäten aufzugeben. Ich fühlte mich in Gefahr und sorgte mich um die Sicherheit der einzigen Tochter, die ich habe. Also bin ich gegangen.

A-: Als Da’esh [in Dtl. bekannt als Islamischer Staat] 2013 in den Konflikt eintrat, hatte ich zwei Möglichkeiten: entweder zu den Waffen zu greifen oder zu gehen, also ging ich.

L-: Ich musste fliehen, weil meine Familie beschloss, dass es für uns nicht mehr sicher war, zu bleiben. Ich habe versucht, mir einzureden, dass ich in Syrien leben kann, auch wenn meine engsten Familienmitglieder weggehen, aber das war nicht sehr vernünftig. Ich erinnere mich, dass ich die Hälfte meiner Asylanhörung bei der französischen Einwanderungsbehörde damit verbrachte, die Tränen zurückzuhalten. Es war so anstrengend, Leuten, die wahrscheinlich noch nie einen Fuß in mein Land gesetzt hatten, die wahrscheinlich nichts über die Revolution wussten und die sich einen Dreck um die Emanzipation in unserer Region scherten, zu beweisen, dass ich tatsächlich aus dem Ort komme, aus dem ich komme, und dass ich in Gefahr wäre, wenn ich dorthin zurückkehren würde.

Das war 2015. Freund*innen empfahlen mir sogar, Fotos mit »bekannten Persönlichkeiten der syrischen Revolution« zu machen, um den französischen Behörden zu beweisen, dass das Assad-Regime mich als »gefährlich« einstufte und ich somit für den Flüchtlingsstatus »qualifiziert« sei.

Meine Erfahrung als Flüchtling ist das Ergebnis von staatlicher Bürokratie und Diskriminierung; sie ist eine Erfahrung von Verlust und Entwurzelung. Es gibt einen Moment, den ich nie vergessen werde. Wenn man in Frankreich Asyl beantragt, erhält man einen Brief, in dem man darüber informiert wird, dass der Pass (den man der Regierung als Nachweis seiner Staatsangehörigkeit vorlegen musste) im »Archiv« der Einwanderungsbehörde aufbewahrt wird. Als ich diesen Brief erhielt, stellte ich mir eine riesige Halle vor, in der die Pässe dicht an dicht aufgereiht waren. Ich frage mich, was zum Teufel sie mit all diesen Pässen machen.

Wie auch immer, das ist keineswegs neu – aber abgesehen von dem kafkaesken, demütigenden und rassistischen Verwaltungsverfahren, bei dem man die Nacht draußen in der Warteschlange verbringt und hofft, am nächsten Morgen einen Termin zu bekommen, während Polizist*innen einen anschreien und drohen, einen »zurück in die Lager« zu schicken, wenn man nicht korrekt in der Schlange steht… abgesehen von all dem ist es immer wichtig, sich daran zu erinnern, dass einen Asylantrag zu stellen bedeutet, einen Staat entscheiden zu lassen, ob man das Recht hat, in einem bestimmten Teil der Welt zu existieren. Ich fordere Menschen, die die Erfahrung machen, Asyl zu beantragen, auf, nicht nur über Grenzen nachzudenken, sondern auch über den Staat als Institution, die sich selbst lächerliche Vorrechte einräumt. Trotzdem musste ich nicht zu Fuß gehen oder das Meer nehmen, um Frankreich zu erreichen. Die Menschen, die diese Dinge tun mussten, haben schrecklichere Geschichten zu erzählen.

Dennoch sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass syrische Geflüchtete in Frankreich und an anderen Orten in Europa im Vergleich zu anderen Nationalitäten und Hautfarben mehr oder weniger »privilegiert« sind. Der Zugang zum Flüchtlingsstatus war für Syrer*innen einfacher als für Menschen aus dem Tschad, Äthiopien, Sudan, Afghanistan und anderen Ländern. Auch dies ist eine Folge der Macht des Staates, zu bestimmen, von welchen Orten man das Recht hat zu fliehen und welche Orte nicht als »ausreichend gefährlich« angesehen werden. Was einfach absurd ist!

Graffiti in Syrien im Juni 2013: »Refugee«.

Als ihr in Frankreich ankamt, was habt ihr dort vorgefunden? Inwieweit haben die französischen politischen Kreise verstanden, was in Syrien geschah?

L-: Am Anfang, als wir die Cantina eröffneten, kamen einige Leute zu uns und fragten: »Was können wir tun, um den syrischen Geflüchteten zu helfen? Ich kann Kleidung mitbringen!« – obwohl wir ganz klar sagten, dass wir eine beliebte Cantina in der Nachbarschaft gründen wollten. Es war schwierig für die Leute, sich syrische Geflüchtete als Akteur*innen vorzustellen, die Solidarität ausdrücken können, und nicht nur als diejenigen, die sie empfangen.

In Frankreich habe ich eine sehr lebendige militante Szene vorgefunden, besonders nach 2016 und der Mobilisierung gegen das Arbeitsgesetz. Heute ist das anders. Ich denke, dass die radikalen Gruppen in Frankreich nach der Explosion der Gelbwesten-Bewegung, die sehr von autonomen, anarchistischen und antiautoritären Kreisen profitiert hat, aber letztlich sehr ernste Fragen – sogar Sackgassen – in Bezug auf Organisation und Strategie in sozialen Bewegungen aufgeworfen hat, auf einem Tiefpunkt angelangt sind. Die Repressionen waren ziemlich ernst. Heute werden andere Konzepte benötigt, um die Straßen in einer Weise zurückzuerobern, die die Regierung bedrohen kann.

Beeindruckend sind in Frankreich neben der aufständischen Seite der radikalen Kreise die kommunalistischen Bewegungen: seien es die verschiedenen ZADs Zone à Défendre oder verschiedene lokale Projekte und Initiativen in aktiven und politisierten Gebieten in ganz Frankreich. Inspiriert wurden wir von einer beliebten Kantine in Paris, la cantine des pyrénées. Einige von uns haben dort schon gekocht, und ein Mitglied der syrischen Kantine hat dort Französischunterricht genommen und beim Kochen ausgeholfen. Es ist ein wunderbarer Ort, und jedes Viertel braucht einen solchen Ort der Solidarität, also haben wir unser Projekt in Montreuil ins Leben gerufen.

Wir haben viel von den französischen Aktivist*innen gelernt: Die Freiheit, die sie haben, erlaubt ihnen, Dinge zu denken und zu tun, die für uns vor der Revolution unvorstellbar waren. Für einige von uns war der Aufenthalt in Frankreich das erste Mal, dass wir mit anarchistischer oder antiautoritärer Literatur und Ideen in Berührung kamen. Natürlich nannten einige Syrer*innen, die an der Selbstorganisation beteiligt waren, das, was sie taten, nicht unbedingt so. Im Gespräch mit Genoss*innen hier in Frankreich wurde uns klar, dass das, was wir in Syrien taten, dem entsprach, wovon autonome Bewegungen in Frankreich träumten. Es gab eine Zeit, in der wir unsere Auffassungen darüber, wofür wir kämpfen und was wir wollen, in Einklang bringen mussten. Irgendwann haben wir uns darauf geeinigt, die lokalen Räte in Syrien als moderne Form der Pariser Kommune zu verstehen.

Lasst uns nun über die weniger positiven Aspekte sprechen.

Die meisten Menschen sympathisierten mit den Syrer*innen, hatten Bilder von getöteten Kindern und zerstörten Gebäuden vor Augen. Eine Zeit lang habe ich es vermieden zu sagen, dass ich aus Syrien komme, weil das manchmal eine Art »Oh, du armes Mädchen«-Reaktion auslöste. Wenn man das regelmäßig hört, wird es wirklich lästig.

Die meisten politischen Kreise, vor allem in der Anfangsphase der Revolution, verstanden, dass es in Syrien eine friedliche Mobilisierung gab, und unterstützten sie. Einige radikale Kreise hatten jedoch ein Problem damit, dies als Revolution zu bezeichnen, weil die Proteste nicht unmittelbar zum Sturz des Regimes führten und die Forderungen nach freien Wahlen oder repräsentativer Demokratie nicht als ausreichend revolutionär empfunden wurden (da die Menschen in Frankreich sehr wenig über die quasi-totalitäre Situation in Syrien wussten), oder weil die Bewegung keine antikapitalistische Dimension hatte. Vereinfacht gesagt, war die Revolution »unrein« und hatte kein einheitliches Narrativ. Einige militante Linke wünschen sich im verwirrten 21. Jahrhundert immer noch einen Aufstand von Unten, der den entschärften Versionen ähnelt, die sie in Theorien oder Geschichtsbüchern gelesen haben.

Jedenfalls schienen die Menschen in den ersten Jahren der Revolution zu verstehen, dass es sich nicht um verrückte islamistische Terrorist*innen auf den Straßen Syriens handelte. Dennoch konnten sie diese Menschen nicht als potenzielle Genoss*innen wahrnehmen. Die meisten Menschen, die auf der Straße waren, waren keine Anarchist*innen: Aber wo sind Anarchist*innen bei einem landesweiten Aufstand von Unten in der Mehrheit?

Graffiti in Syrien im Dezember 2012: »Panzer dürfen hier nicht wenden.«

Die Dinge wurden viel komplizierter, als sich die Mobilisierung militarisierte. Viele radikale Kreise waren verwirrt und konnten keine Position beziehen; man muss verstehen, dass Frankreich ein sehr islamfeindliches Land ist. Viele konnten nicht akzeptieren, dass man religiös, muslimisch, kämpferisch und revolutionär sein kann, ohne das islamische Recht in Syrien durchsetzen zu wollen und ohne notwendigerweise frauenfeindlicher zu sein als manche männlichen Genossen im Westen.

Im Allgemeinen wussten die Menschen selbst in den aktivistischen Gemeinschaften nichts von der Existenz selbstorganisierter Strukturen und Praktiken innerhalb der syrischen Revolution. Alle sprachen über Rojava, ohne zu verstehen, dass es in den meisten Vierteln, Städten, Dörfern und Gemeinden in den vom Regime befreiten Gebieten selbstorganisierte lokale Räte, Krankenhäuser, Schulen, Koordinationskomitees und Medienzentren gab, die unabhängig vom Einfluss der PKK waren. In den Diskussionen nach unseren Vorträgen fragten viele Leute: »Warum habt ihr nicht über Rojava gesprochen?« In einer Hinsicht hatten sie Recht. Unser Schweigen in Bezug auf Rojava war nicht völlig gerechtfertigt. Aus unserer Sicht hat uns die in radikalen Kreisen des Westens verbreitete Besessenheit von Rojava in eine seltsame Lage gebracht, die uns zwang zu sagen: »Hey, uns gibt es auch!« Wir liefen Gefahr, die gleichen Fehler in unserer eigenen Analyse zu wiederholen und so zu tun, als ob Rojava und die syrische Revolution zwei völlig verschiedene Realitäten wären. Wir waren uns dessen bewusst und versuchten, einen Diskurs zu entwickeln, der es uns ermöglichen würde, über die syrische Revolution zu sprechen, ohne Rojava in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen, aber auch ohne dessen Existenz zu ignorieren. Die meisten Menschen würden sagen, die Ereignisse der syrischen Revolution seien zu kompliziert. Um diesen Leuten Recht zu geben: Ja, der bewaffnete Konflikt, der in Syrien immer noch stattfindet, ist nicht einfach zu bewältigen. Das ist jedoch keine Entschuldigung für die Behauptung, dass es in Syrien keinen Aufstand von Unten gibt, an dem normale (sehr mutige) Menschen beteiligt sind.

Ich denke, das ist es, was in radikalen Kreisen passiert ist: Auf der kurdischen Seite in Rojava schienen die Dinge klar zu sein. Die meisten Leute, mit denen ich gesprochen habe, hatten denselben Diskurs: Rojava war eine Revolution in einem Nahen Osten voller Islamist*innen und Diktator*innen. Die Bezugspunkte waren ganz klar: Antifaschismus, Feminismus, Ökologie und direkte Demokratie. Ironischerweise denke ich, dass dies der Grund dafür ist, dass einige Leute, die Rojava unterstützten, so wenig darüber wussten, was vor Ort geschah oder über die ideologischen Grundlagen und die Geschichte der PKK.

Bestimmte radikale französische Kreise, vor allem die autonomen Kreise (mit einigen Ausnahmen), waren relativ geschlossen. Eine Kultur der Geheimhaltung und Undurchsichtigkeit wurde in vielen Situationen dogmatisch praktiziert, was es leicht machte, sich von vielen militanten Räumen ausgeschlossen zu fühlen; manchmal war dies eher eine Gewohnheit als eine absichtliche Taktik, was besonders bedauerlich ist. Außerdem konnte man sofort spüren, dass es eine bestimmte erwartete Sprache und andere kodifizierte Verhaltensweisen gab, die für Neulinge unverständlich waren. Anfangs dachte ich, das Problem läge an meinem schlechten Französisch; später stellte ich fest, dass sich auch politisierte und engagierte Französ*innen in autonomen Kreisen oft ausgeschlossen fühlen. Es war nicht einfach, einen Einstieg zu finden. So sehr ich auch die Notwendigkeit nicht-öffentlicher Aktivitäten verstehe – da wir unser ganzes Leben in Syrien unter Überwachung verbracht haben –, so schade ist es doch, dass es keine öffentlichen Anlaufstellen gibt, die Aktivist*innen aus anderen Ländern willkommen heißen könnten. In den meisten radikalen Kreisen wurde es als lobenswert angesehen, nicht-französische und vor allem nicht-europäische Aktivist*innen in französische Kollektive und Aktionen einzubeziehen – es wurde als ein gutes Zeichen für Vielfalt angesehen. Gleichzeitig gab es sehr wenig Raum für nicht-europäische Aktivist*innen, um zur Veränderung des französischen militanten Diskurses und der Praxis beizutragen. Ich denke, das Prinzip der Gleichheit besteht darin, zu hören, was Aktivist*innen aus anderen Ländern zu sagen haben, nicht nur in Form von Geschichten und Zeugnissen, sondern auch in Form von Analysen, strategischen Überlegungen und taktischen Erfahrungen.

R-: Ich kam fünf Jahre nach Beginn der Revolution nach Frankreich. Die Französ*innen waren gespalten, was das Wissen und die Beteiligung an der Unterstützung der syrischen Bewegung betraf. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die das Bild eines Krieges und eines internationalen Konflikts vor Augen haben, bei dem Tausende von Migrant*innen in ihrem Land landen. Diesem Teil der Bevölkerung ist es durch die Darstellung der Syrer*innen als Opfer gelungen, ihre Unterstützung auf die humanitären Bereiche zu lenken. Dies trug dazu bei, dass sie den politischen Aspekt der revolutionären Bewegung beiseite schoben und die Syrer*innen, die in Frankreich ankamen, als passive Opfer sahen, die Hilfe brauchten und nicht in der Lage waren, sich am politischen Leben zu beteiligen.

Andererseits traf ich bei meiner Ankunft in Frankreich eine Gruppe anarchistischer Freund*innen, die der Revolution treu sind. Sie engagieren sich politisch in der französischen Unterstützungsbewegung und haben eine eher basisdemokratische Perspektive. Sie verlassen sich bei ihren Informationen nicht auf die Mainstream-Medien, sondern hören den Syrer*innen zu – sie lesen und hören sich ihre Berichte an, nehmen Kontakt mit ihnen auf und engagieren sich in ihren Kämpfen.

Leckeres Essen, mit freundlicher Genehmigung der syrischen Cantina.

Was waren die nützlichsten Dinge, die die Menschen in Frankreich getan haben, um euch ihre Solidarität zu zeigen?

L-: In Frankreich gibt es viele Initiativen und Vereine, die Geflüchtete noch immer aufnehmen und ihnen bei der Unterbringung, bei Sprachkursen, bei Behördengängen, beim Zugang zur Hochschulbildung usw. helfen. Das war entscheidend und wirklich hilfreich, vor allem in der ersten Zeit nach meiner Ankunft in Frankreich.

Es wurden auch einige Initiativen organisiert, um humanitäre Hilfe und Ressourcen für Projekte in den befreiten oder belagerten Gebieten bereitzustellen, insbesondere für selbstverwaltete Schulen und Krankenhäuser.

Eine weitere nützliche Sache war die Möglichkeit, Räume in sozialen Zentren für Veranstaltungen und Vorträge über die syrische Revolution zu nutzen. Wir möchten uns bei der Parole Errante in Montreuil bedanken, die ihre Türen für Syrer*innen geöffnet hat. Einen Raum zu haben, in dem man sich organisieren kann, ist entscheidend. Auch dem Maison Ouverte in Montreuil, das unser Projekt in der Anfangsphase beherbergte, möchten wir herzlich danken.

Andere Arten von nützlicher Unterstützung beziehen sich auf die Medien und die Information. Die Zeitschrift CQFD widmete der syrischen Revolution eine ganze Ausgabe und veröffentlichte regelmäßig Artikel und Berichte aus der Sicht der zivilen Mobilisierungen und fortschrittlichen Kräfte vor Ort. Zu erwähnen sind auch verschiedene Übersetzungsinitiativen, die sich dafür einsetzten, Literatur über die syrische Revolution in französischer Sprache zugänglich zu machen.

Schließlich war es hilfreich, dass einige Gruppen Vorträge, Lesekreise und Veranstaltungen organisierten, zu denen syrische Revolutionär*innen eingeladen wurden, um ihre Erfahrungen zu teilen. Dies waren entscheidende Momente, nicht nur um die Menschen über die syrische Revolution zu informieren, sondern auch um uns die Möglichkeit zu geben, Menschen zu treffen, ein Netzwerk von Verbündeten zu schaffen und persönliche Beziehungen zwischen Aktivist*innen aufzubauen. Nicht sehr hilfreich war es, in unserem Namen ausschließlich aus geopolitischer oder humanitärer Sicht über den syrischen »Konflikt« oder »Krieg« zu sprechen. Beide Standpunkte trugen dazu bei, einen Aufstand von Unten unsichtbar zu machen, der dem Regime nicht nur auf militärischer, sondern auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene gegenüberstand. Beide Standpunkte entpolitisieren den Widerstand und minimieren die politische Handlungsfähigkeit der Akteur*innen vor Ort. Der humanitäre Ansatz konzentriert sich auf die Figur des Opfers, sei es die*der Syrer*in, die*der den Krieg erlebt, oder die*der Geflüchtete, der*dem es gelingt, ihm zu entkommen – in beiden Fällen als hilfloses Individuum, das Sympathie (aber letztlich Apathie) hervorruft. Der geopolitische Ansatz ist weniger einfühlsam: Kriegsopfer und Geflüchtete sind Nummern in einem Risikospiel, bei dem alle Analysen auf den Staat ausgerichtet sind und vergessen wird, dass es vor allem um die Bemühungen der Menschen geht, in Würde zu leben.

Zu den westlichen Formen der Solidarität empfehlen wir »A Critique of Solidarity«.

Vorbereitung des Abendessens in der syrischen Cantina im AERI-Raum.

Wie haben sich die Erfahrungen der Syrer*innen in der Diaspora je nach Klasse, ethnischer Zugehörigkeit, sozialen Verbindungen und anderen Faktoren unterschieden?

L-: Von Anfang an versuchte das Regime, den Aufstand von unten mit der Methode »Teile und herrsche« zu bekämpfen. Die Propaganda des Regimes nutzte die ethnische und religiöse Vielfalt der syrischen Gesellschaft, um Gemeinschaften gegeneinander auszuspielen und Spannungen zu instrumentalisieren. Wenn man heute die Geschehnisse in Syrien als »Bürgerkrieg« bezeichnet, muss man berücksichtigen, dass es im Interesse des Regimes lag – ja, dass es eine bewusste Strategie war –, die Situation in diesem Sinne zu gestalten, um sich als »säkulare« Instanz präsentieren zu können, als einzige Macht, die den Frieden für ethnische oder religiöse Minderheiten garantieren kann. Tatsächlich gehören die meisten von uns in der syrischen Kantine religiösen Minderheiten an. Das Regime hat unsere Interessen nie geschützt, und wenn es dies zu einem bestimmten Zeitpunkt getan hat, dann aus reinem politischen Kalkül und nicht aus dem Glauben an das modernistische Prinzip der Trennung von Staat und Religion.

Nach elf Jahren bewaffneten Konflikts wäre es naiv zu behaupten, dass es keine Spannungen zwischen ethnischen oder religiösen Gemeinschaften gibt. Wir betonen jedoch, dass in den ersten Jahren der Revolution die Unterstützung für das Regime und die Opposition gegen das Regime nicht nach ethnischen oder religiösen Gesichtspunkten verteilt waren. Auch heute noch gibt es in jeder ethnischen oder religiösen Gemeinschaft Menschen, die das Regime unterstützen, und andere, die es ablehnen, auch unter den Alawit*innen (dem schiitischen Zweig, der die religiöse Minderheit Assads bildet).

Für die unteren Schichten war der Krieg jedoch definitiv viel härter. Die Folgen der Inflation haben dazu geführt, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung kaum noch das Nötigste leisten kann. Für diejenigen, die keine Familienangehörigen außerhalb des Landes haben, die es sich leisten können, Geld in ausländischer Währung zu schicken, ist das tägliche Überleben absolut kritisch.

Wie immer bei Kriegen bereichern sich bestimmte Klassen durch Monopole oder durch die Schaffung neuer Märkte und Gewinnmodelle, die auf der Knappheit bestimmter Güter basieren. Hinzu kommt, dass Assads Syrien, insbesondere unter Bashar, ein System der Vetternwirtschaft ist, in dem Korruption gefördert wird, solange das Regime seinen Anteil an den Gewinnen erhält und die politische Kontrolle behält. Das jüngste Beispiel ist die wachsende Drogenindustrie, da Syrien zu einem der wichtigsten Produzenten und Exporteur der Droge Captagon geworden ist, was dazu beigetragen hat, die nationale Wirtschaft etwas zu stabilisieren.

Viele der Menschen, die nicht nach Europa oder in andere westliche Länder gelangen konnten, konnten sich kein Visum besorgen, weil ihnen das Geld oder die sozialen Kontakte fehlten, oder sie konnten nicht genug Geld auftreiben, um auf nichtlegale Weise zu entkommen, sei es durch gefälschte Reisedokumente oder durch illegalen Grenzübertritt. Illegale Migration ist teuer!

Die beiden Hauptfaktoren, die darüber entscheiden, ob Menschen in europäische Länder gelangen können, sind also eindeutig die Klasse und die sozialen Beziehungen; dies erklärt auch, warum sich die meisten syrischen Geflüchtete noch in den Nachbarländern aufhalten. Aber vergessen wir nicht, dass einige Menschen auch beschlossen haben, in Syrien zu bleiben, sei es, weil sie sich weigerten, den Kampf aufzugeben, oder weil sie sich weigerten, ihr Zuhause zu verlassen, vielleicht aus Angst, das entwurzelte Leben eines Flüchtlings zu erleben.

Die Erfahrung, Geflüchtete zu sein, unterscheidet sich erheblich, je nachdem, ob man im Libanon oder in der Türkei oder in Frankreich oder Deutschland lebt. Der gemeinsame Nenner ist zweifelsohne eine Art von Alltagsrassismus. Eines muss in Bezug auf Europa und insbesondere Frankreich gesagt werden: Die Islamfeindlichkeit ist eine der Hauptursachen für die Diskriminierung, insbesondere von Frauen. Wenn man praktizierende*r Muslim*a ist und dies in der Öffentlichkeit irgendwie sichtbar ist, hat man es als Geflüchtete schwerer. In Frankreich gilt dies sogar für französische Staatsbürger*innen.

Um es klar zu sagen: Die IslamistInnen haben die Revolution in Syrien gestohlen und dem kommunalen und sozialen Gefüge enormen Schaden zugefügt. Sie sind unsere Feinde, genauso wie Assad! Das sollte jedoch keinen Raum für Islamfeindlichkeit lassen, weder unter Europäer*innen noch unter »säkularen Syrer*innen«.

Diejenigen, die sich in Syrien aufhalten, verdienen materielle Unterstützung, insbesondere diejenigen, die in Flüchtlingslagern unter grausamen Bedingungen intern vertrieben werden und mehrere Winter in Zelten unter dem Schnee verbringen, ohne Hoffnung auf Veränderung. Es gibt mehrere Initiativen, die ihr unterstützen könnt, wie zum Beispiel diese hier.

Neben der materiellen Unterstützung geht es auch um Anerkennung und moralische Unterstützung: Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass jeder künftige Wandel in Syrien in erster Linie von denen getragen wird, die noch vor Ort sind, auch wenn die Diaspora eine wichtige Rolle spielen wird. Wir müssen darauf achten, was die Menschen dort zu sagen haben, auf die Mobilisierungen und Initiativen, die sie selbst in den vom Regime kontrollierten Gebieten zu organisieren vermögen.

Auf dieser Facebook-Seite findet ihr Memes und Slogans gegen das Regime, die anonym aus den heute vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gepostet wurden.

Graffiti in Syrien im Juli 2012: »Revolte und Widerstand gegen die Unterdrückung«.

Was wäre notwendig gewesen, damit die syrische Revolution anders ausgegangen wäre?

L-: Ich weiß nicht, ob wir eine Analyse liefern können, wie die Revolution hätte »gewinnen« können: Wir sind uns bewusst, dass der Sturz von Assad nicht automatisch Freiheit und Würde für Syrien gebracht hätte. Wir wissen auch, wie einige von uns aus dem Leben in europäischen Ländern gelernt haben, dass freie Wahlen und »demokratische Übergänge« keine Garantie für eine funktionierende Demokratie sind, in der die Menschen selbst bestimmen können, wie sie leben. Die Beispiele in Tunesien und jüngst im Sudan zeigen uns, dass der Sturz des Regimes nur der erste Schritt in einem viel längeren Kampf um Selbstbestimmung und Gerechtigkeit ist.

Wir können jedoch einige Elemente beschreiben, die die immensen Verluste, die wir erlitten haben, hätten verringern und vielleicht das Kräfteverhältnis zugunsten der emanzipatorischen Kräfte hätten verändern können.

  • Eine Flugverbotszone vor der russischen Intervention im Jahr 2015. Eine Flugverbotszone hätte das Kräfteverhältnis zugunsten der Aufständischen verändert, die in den ersten Jahren der Revolution mehrfach die Möglichkeit hatten, einen militärischen Sieg gegen die Regimekräfte zu erringen. Eine Flugverbotszone wurde von der Zivilbevölkerung vor Ort gefordert, nicht nur von bewaffneten Gruppen. Heute sehen wir die gleiche Forderung in der Ukraine: »Schließt den Himmel und wir machen den Rest.« Wir schätzen unsere Autonomie und lehnen daher eine Einmischung von außen ab. Wir wissen jedoch, dass mehr von uns hätten überleben und Widerstand leisten können, wenn nicht ständig Fassbomben auf unsere Köpfe geworfen worden wären (auf Krankenhäuser und Schulen sowie auf militärische Stellungen, so wie es heute in der Ukraine geschieht). Wir hätten mehr Zeit darauf verwenden können, uns politische Alternativen zum Regime und zu den Islamisten auszudenken und umzusetzen, anstatt unsere Angehörigen aus den Trümmern unserer zerstörten Häuser zu bergen.

Heute sehen wir das Gleiche – eine Situation, in der amerikanische und andere westliche Aktivist*innen die Idee einer militärischen Intervention ablehnen und antiimperialistische Argumente vorbringen. Eines dieser Argumente ist, dass eine militärische Intervention nicht im Interesse der lokalen Bevölkerung ist. Das Paradoxon ist eklatant: Während die lokale Bevölkerung um eine militärische Intervention bittet, schreiben westliche Aktivist*innen, deren Leben nicht bedroht ist, bequem Anti-Kriegstexte, in denen sie erklären, dass wir die Interessen der lokalen Bevölkerung an die erste Stelle setzen sollten, und die sie selber nicht bereit sind, zuzuhören. Paternalismus.

  • Entschiedenere militärische Unterstützung: schnellerer Zugang zu mehr Verteidigungswaffen. In Syrien gab es ein großes Problem mit dem Timing. Wenn die militärische Unterstützung die Aufständischen erreichte, war sie immer zu spät und unzureichend, als ob sie den Sturz des Regimes unmöglich machen würde wollen. Es ist schwierig, diesen Text heute zu schreiben, ohne auf den ukrainischen Fall einzugehen. Aber verzichten wir für den Moment auf Vergleiche und konzentrieren wir uns auf Syrien.

Das Zögern, die syrischen Aufständischen zu unterstützen, war groß, insbesondere nachdem die militärische Intervention in Libyen so schlecht ausgegangen war. Das Zögern und die Unentschlossenheit verschiedener westlicher Länder in den ersten Jahren der syrischen Revolution, als es darum ging, die Aufständischen mit Verteidigungswaffen auszustatten, die Luftangriffe und Raketen abwehren konnten, ebnete den Weg für das Eingreifen anderer Akteur*innen, die ihre Vorstellungen davon, wie die bewaffnete (und zivile) Opposition aussehen sollte, von außen durchsetzten. Das Zögern des Westens – der es vermied, das Regime zu bedrohen, und mit »nachrichtendienstlichen Informationen und Ausbildung« intervenierte, aber immer zu spät – trug dazu bei, dass sich der bewaffnete Konflikt über Jahre hinzog und islamistischen Kräften die Möglichkeit gab, die Kontrolle über Gebiete zu übernehmen. Die transnationale Unterstützung für islamistische bewaffnete Gruppen übertraf die materielle Hilfe für die Freie Syrische Armee und andere religiös neutrale Brigaden.

In gewisser Hinsicht kann man nicht sagen, dass die westlichen Länder keine wirkliche militärische Intervention in Syrien durchgeführt haben. Die internationale Koalition griff ein, um ISIS-Stellungen zu bombardieren – und setzte sich dabei über alle Verträge und rechtlichen Rahmenbedingungen hinweg. Die westlichen Länder haben in Syrien interveniert, um die Kurd*innen zu unterstützen und ISIS zu bekämpfen, aber nie, um die Ursachen des Blutbads anzugreifen, nämlich die Macht von Assad. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) und des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) war Assad für mehr als 90.000 der 159.774 zivilen Todesopfer der letzten elf Jahre verantwortlich. Dieses selektive Vorgehen, bei dem sich westliche Regierungen weigerten, gegen Assad vorzugehen, während sie an anderer Stelle in Syrien tätig wurden, stellt eine absichtliche Einmischung in den syrischen Konflikt dar.

Was Barack Obamas berühmte »rote Linie« betrifft, so sind syrische Revolutionär*innen und Gegner*innen des Assad-Regimes der Ansicht, dass Obama die »Syrien-Akte« an Putin übergeben hat, in der Hoffnung, dass Russland die Rolle der Vereinigten Staaten als Weltpolizei übernehmen würde. Im Jahr 2013 waren etwa zwei Drittel der Gebiete in Syrien befreit und selbstverwaltet. Im Jahr 2015 begann die russische Armee, die militärischen Operationen des syrischen Regimes zu koordinieren. Als Aleppo 2016 fiel, markierte dies einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab, was das Kräfteverhältnis anging. Eine militärische Niederlage wurde für die regierungsfeindlichen Kräfte fast sicher, dank Russland, aber auch dank Iran und Hisbollah.

Wir haben zwar mit den Geflüchteten des verheerenden Krieges gelebt, den die USA im Irak geführt haben, und wir wissen, was der US-Imperialismus in unseren Ländern bedeutet – doch in diesem speziellen Fall bedeutete der Rückzug der USA und anderer europäischer Länder aus dem Krieg um Einfluss in Syrien leider jahrelange anhaltende Massaker und letztlich die Stabilisierung und Festigung der Assad-Herrschaft. Elf Jahre später ist Assad immer noch an der Macht, obwohl er zu den bekanntesten Schlächtern des 21. Jahrhunderts gehört.

  • Wir hätten schon früher über die Ausbreitung islamistischer Gruppen alarmiert sein müssen. In einigen Gebieten dauerte es zu lange, bis die Menschen die Bedrohung erkannten, die islamistische Gruppen für die zivile Mobilisierung und den Geist der Revolution darstellen. Bei den Protesten in den ersten Jahren der Revolution riefen wir zur Einheit zwischen Ethnien und Religionen gegen die Tyrannei auf. Die wachsende Präsenz islamistischer Gruppen radikalisierte das gesamte Terrain, so dass man, wenn man finanzielle Unterstützung oder Waffen aus den Nachbarländern erhalten wollte, seinen Diskurs ändern musste – indem man einen religiösen Ton anschlug, den Namen seiner Brigade oder Vereinigung änderte und »Gott ist der Größte« auf seine Fahne schrieb. Aufständische und Revolutionär*innen betrachteten das Regime als Hauptfeind, so dass der Kampf gegen islamistische Gruppen und Diskurse nicht immer Priorität hatte.

Das ist einigermaßen verständlich, denn bis heute ist das Regime die Hauptursache für Tod und Vertreibung in Syrien. Wir sollten nie vergessen, dass das Regime auch eine aktive Rolle bei der Freilassung von IslamistInnen aus den Gefängnissen während der Revolution spielte und direkte Angriffe auf ihre Stützpunkte vermied. In Anbetracht der Tatsache, dass auch islamistische Gruppen gegen das Regime kämpften, hofften die Revolutionär*innen, dass die IslamistInnen kurzfristig helfen würden, Assad zu stürzen, und dass es dann möglich sein würde, mit der Präsenz der IslamistInnen fertig zu werden. Es ist auch wichtig, nicht zu vergessen, dass es viele Proteste gab, in Idlib zum Beispiel bis heute, die sich sowohl gegen das Regime als auch gegen die islamistischen Gruppen richteten, die überall dort, wo sie die Kontrolle über ein Gebiet übernommen haben, auch tyrannisch waren.

  • Die Unterstützung und Anerkennung von Selbstverwaltungsinitiativen wie den lokalen Räten wäre ein entscheidender Faktor gewesen. Für Nationalstaaten war es praktisch unmöglich, nichtstaatliche Akteur*innen anzuerkennen, und erst recht solche, die selbstorganisiert, dezentralisiert und ohne klare Führung waren (im Gegensatz zum kurdischen Fall). Diese lokalen Räte waren die besten Einheiten, die die Interessen der syrischen Bevölkerung vertreten konnten, da sie die Politik des täglichen Lebens organisierten und die Verwaltung von Dienstleistungen übernahmen. Ihre Mitglieder wurden demokratisch gewählt oder von den Einwohner*innen ernannt, nach einem Modell, das dem zapatistischen Rat für gute Regierungsführung ähnelt. Es ist nicht verwunderlich, dass die Staaten diese Organisationen nicht anerkennen wollten – Genoss*innen hätten dies allerdings tun sollen! Stattdessen erkannten die Regierungen symbolisch die Syrische Nationale Koalition oder den Syrischen Nationalen Rat an, eine Art von oben nach unten gerichtete Struktur, die versuchte, diplomatische Lösungen zu finden; sie trafen sich lediglich mit Vertreter*innen der Vereinten Nationen aus verschiedenen Ländern und führten eine Reihe von Gesprächen, die vor Ort praktisch keine Wirkung zeigten. Eine Zeit lang wurde die Syrische Nationale Koalition von den Revolutionär*innen unterstützt, aber die Hoffnung, dass diese Mechanismen einen Wandel herbeiführen würden, schwand schnell, und ein großer Teil der Revolutionär*innen stand diesen Koalitionen, die nichts mit der Realität zu tun hatten, kritisch gegenüber.

  • Weitere Bündnisse mit Teilen der kurdischen revolutionären Bewegung – ob es sich nun um die Syrische Nationale Koalition oder andere von Nationalismus und Rassismus geplagte politische Gruppierungen handelte – die Ablehnung eines multinationalen syrischen Horizonts und die Idee der Föderalisierung war eine verpasste Gelegenheit für Revolutionär*innen in Syrien aller Richtungen, ob kurdisch oder nicht. Anstatt dass die kurdische revolutionäre Bewegung sich neutral verhalten oder mit dem Assad-Regime kooperieren muss, hätten wir uns vorstellen können, dass sich die syrischen revolutionären Kräfte und die kurdischen revolutionären Kräfte auf der Grundlage gemeinsamer Interessen zusammenschließen, um das Regime zu stürzen. Es gab viele Gründe, auf beiden Seiten, warum dies nicht geschah. Aber für die Zukunft Syriens wird eine Versöhnung zwischen diesen beiden revolutionären Kräften notwendig sein, um alle Arten von Tyrannei zu stürzen, einschließlich des Regimes und der IslamistInnen, und um sicherzustellen, dass keine neue repressive Machtstruktur entstehen kann, auch nicht von der PKK oder der PYD.

  • Schließlich wäre die Revolution anders verlaufen, wenn die Linken nicht die Propaganda von Assad wiederholt hätten, dass es keine Alternative gäbe: Entweder man stehe zu Assad oder zu den IslamistInnen. Es gab eine Alternative! All das ist jetzt schwer zu erklären, aber der Diskurs ist immer ein wichtiger Teil des Schlachtfelds, und der Kampf und der Widerstand des Volkes waren einfach nicht hörbar. Die Folgen davon waren enorm: die Verzerrung und Verfälschung der historischen Aufzeichnungen.

Wenn man heute Wikipedia (zum Beispiel auf Englisch) aufruft, findet man nicht einmal einen Eintrag über die »Syrische Revolution« (oder nur die syrische revolution 1925-27). Man kann nur den syrischen »Bürgerkrieg« finden. Es ist schon heftig, dass dieses historische Ereignis, das das Leben von Millionen von Menschen, wenn nicht sogar die Politik weltweit verändert hat, völlig unsichtbar geworden ist. Diese Sprache ist reduktionistisch und ungenau. Wenn wir präzise und unparteiisch sein wollen, können wir zumindest anerkennen, dass es sich nicht um einen Bürgerkrieg, sondern um einen transnationalen Konflikt handelte, da praktisch alle westlichen Regierungen und mächtigen regionalen oder internationalen Staaten auf die eine oder andere Weise in Syrien interveniert haben.


Vorbereitung des Abendessens für die syrische Cantina im AERI-Raum.

Wie organisiert ihr euch heute weiter, um die Menschen in Syrien und in der syrischen Diaspora zu unterstützen?

L-: Wir versuchen, Initiativen in Syrien und der umliegenden Region finanziell zu unterstützen. Die meisten dieser Initiativen sind »humanitär« und zielen darauf ab, die harten Lebensbedingungen zu verbessern, insbesondere in den Flüchtlingslagern. Wir haben Kampagnen in der Pariser Region organisiert, um Erste-Hilfe-Materialien, Kleidung und Medikamente sowie andere Ressourcen zu sammeln, um die materielle Not in Zeiten des intensiven Konflikts in den belagerten Gebieten zu lindern.

Wir organisieren jedes Jahr eine Veranstaltung zum Jahrestag der syrischen Revolution: es ist uns sehr wichtig, Redner*innen einzuladen, die immer noch in Syrien aktiv sind. Es ist auch eine Gelegenheit, das Erbe der syrischen Revolution zu erneuern und über die Aspekte zu sprechen, die nur wenige Menschen hier kennen, wie zum Beispiel die Erfahrungen der lokalen Räte. In diesem Jahr werden wir einen Vortrag über die Achse der Konterrevolution halten, in dem wir versuchen, pseudo-antiimperialistische Argumente zu dekonstruieren, die die Hisbollah unterstützen oder Anführer wie al-Sulemany feiern, ohne anzuerkennen, dass diese Mächte nicht nur in Syrien konterrevolutionär waren, sondern auch, was noch wichtiger ist, im Libanon oder Iran. Was die syrische Diaspora betrifft, so versuchen wir, die Cantina zu einem offenen und für alle zugänglichen Ort zu machen (außer für die Apologeten des Regimes) und zu einem Treffpunkt, an dem man über Politik diskutieren, sich organisieren und mit anderen politischen Gemeinschaften in Frankreich zusammenkommen kann. Wir glauben, dass ein physischer Treffpunkt für Syrer*innen im Exil von entscheidender Bedeutung ist: Die meisten von uns haben Verwandte, Freund*innen und Familien, die über die ganze Welt verstreut sind, unser Leben ist zersplittert, und angesichts unserer kollektiven und individuellen Traumata besteht ein ständiges Gefühl der Entfremdung in Bezug auf die Welt und andere Menschen. Die syrische Cantina ist ein Ort, an dem wir Ruhe und Zuflucht finden können.

Für uns ist es auch wichtig, dass dieser Raum offen und einladend ist und auch für Geflüchtete aus anderen Ländern zugänglich ist. Wir wollen uns nicht ausschließlich unter Syrer*innen organisieren. Unsere Gemeinschaft, genau wie unsere Existenz, ist transnational geworden, und wir müssen das annehmen, anstatt uns in einen Prozess der Selbstghettoisierung zu begeben.

Schließlich versuchen wir so oft wie möglich Nachrichten über Mobilisierungen in Syrien zu verbreiten, um daran zu erinnern, dass dort trotz der langen Jahre des Krieges und der Gewalt immer noch Menschen leben und sich organisieren.

Ihr habt eure komplexe Beziehung zu dem Experiment in Rojava erwähnt. Viele Menschen haben in den letzten zehn Jahren davon gehört, aber sie verstehen es nicht immer im Kontext der syrischen Revolution als Ganzes. Könnt ihr beschreiben, wie ihr diese Ereignisse seht?

O-: Ich kann versuchen, aus französischer Sicht zu antworten,1 denn seit 2015 habe ich versucht, über die Begeisterung der radikalen und libertären westlichen Linken für Rojava und über die Unterschiede zwischen der syrischen und der kurdischen Revolution nachzudenken (siehe diesen Artikel auf Französisch). Als Unterstützer der kurdischen Sache in der Türkei war ich anfangs sehr angetan von den Experimenten in Rojava, bevor ich durch Diskussionen mit syrischen Revolutionär*innen im Exil, die eine völlig andere Sichtweise zu diesem Thema hatten, ziemlich verwirrt wurde.

Meiner Meinung nach ist die Frage nicht, ob man Rojava und die kurdische revolutionäre Bewegung unterstützen soll. Problematisch ist vielmehr, wenn dies auf eine phantasierte Art und Weise geschieht, und noch schlimmer, wenn diese Unterstützung mit einer völligen Unkenntnis des Kontextes, in dem sie Wurzeln geschlagen hat, und ihrer Beziehung zur syrischen Revolution, die 2011 begann, verbunden ist. Um all dies zu verstehen und Stellung beziehen zu können, müssen wir auf die Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen beiden Revolutionen unterschiedlicher Art zurückkommen.

Ein Wandgemälde in Syrien im Mai 2014.

Bevor wir sie im Detail vorstellen, müssen wir uns an etwas Grundsätzliches erinnern: Die Kurd*innen, die jahrzehntelang als ethnische Minderheit vom syrischen Regime unterdrückt wurden, sind nicht austauschbar mit der revolutionären kurdischen Bewegung, die von der PKK in der Türkei und der PYD in Syrien verkörpert wird, zwei Schwesterparteien, die ab 2012 das Projekt Rojava ins Leben riefen. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn während viele Kurd*innen an der syrischen Revolution teilgenommen und ihre Erfahrungen im politischen Kampf eingebracht haben, sind die PYD und die PKK neutral oder sogar gegen die syrische Revolution eingestellt. Man könnte sagen, dass sie die durch den Aufstand von 2011 entstandene Destabilisierung genutzt haben, um ihr Projekt der Errichtung eines autonomen kurdischen Gebiets zu verwirklichen, das nach den ideologischen Grundsätzen ihrer Partei, dem demokratischen Konföderalismus, organisiert ist. Fast 40.000 Kämpfer*innen und Kader der PKK, die sich in den Bergen von Quandil im Irak und in der Türkei gebildet hatten, kamen 2012 in die kurdischen Mehrheitsgebiete im Nordosten Syriens.

Der wichtigste Grund für die Feindseligkeit ist die Beziehung der PYD zum mörderischen Bashar-Regime: Während die Details der Verhandlungen noch unklar sind, scheint es, dass die PYD-PKK Anfang 2012 mit dem Regime über die Rückkehr nach Syrien und die Übernahme der drei kurdischen Siedlungsgebiete an der Grenze zur Türkei – Afrin, Kobane und Dschasira – verhandelte, im Gegenzug für die Neutralisierung kurdischer Demonstrant*innen, die auf der Seite der Revolution standen, und das Versprechen, keine gemeinsame Front mit der Freien Syrischen Armee zu bilden. Einige Monate nach dem Ausbruch des Aufstands gingen die PYD-PKK-Kader so weit, Demonstrationen gegen das syrische Regime zu unterdrücken.

Nachdem die PKK-PYD im Nordosten Syriens etabliert worden war, wurde die Möglichkeit eines Zusammenschlusses zwischen syrischen und kurdischen Revolutionären durch ein Spiel von Allianzen endgültig begraben. Die beiden Seiten, die beide stark von ausländischer Hilfe abhängig sind, um ihr Überleben zu sichern, haben sich zu gegensätzlichen Vereinigungen zusammengeschlossen. Die PKK versuchte, sich russischen Schutz zu sichern, als Russland bereits syrische Aufständische bombardierte. Gleichzeitig wurden mehrere Milizen der Freien Syrischen Armee vom türkischen Regime von Recep Tayyip Erdoğan, dem Erzfeind der PKK, finanziert, bewaffnet und unterstützt, der daran arbeitete, diejenigen zu isolieren, die er als eine der größten Bedrohungen für die Türkei ansah, so wie es Bashar al-Assad mit den Aufständischen tat. Heute werden viele ehemalige syrische Revolutionär*innen, die nun von der Türkei bezahlt werden, vom türkischen Regime eingesetzt, um kurdische Gebiete anzugreifen und furchtbare Gräueltaten zu begehen. Wenn man bedenkt, dass das syrische Regime 2013 kurz vor dem Sturz stand, kann man sagen, dass die Hilfe von organisierten und militärisch ausgebildeten Kämpfer*innen Baschar sicherlich den Gnadenstoß versetzt hätte.

Die Erklärung vieler Kurd*innen ist, dass sie dachten, dass sie am Ende, selbst wenn das syrische Regime fallen würde, von der syrischen Opposition verraten werden würden – sie würden nicht in der Lage sein, ihr kommunalistisches Projekt umzusetzen und die Kurd*innen würde keine Autonomie oder Rechte erhalten. Dies zeigt, dass die Fehler nicht nur auf einer Seite lagen. Die syrische Opposition mit Sitz in Istanbul – die selbst von Revolutionär*innen innerhalb Syriens kritisiert wird – verhandelte über die Zukunft Syriens und wähnte sich in der Nähe des Sieges, während sie sich weigerte, die PYD-PKK in die Gespräche einzubeziehen und den Kurd*innen einen Schutzstatus zu gewähren. Nationalistische Teile der syrischen Opposition wollten andere Sprachen als Arabisch nicht als Nationalsprachen anerkennen und betrachteten die Idee des Konföderalismus als Mittel zur Spaltung Syriens.

»Die Revolution ist hier beim Volk, nicht in Antakya« [d.h. in Syrien, nicht in der Türkei, wo die selbsternannten Vertreter*innen der syrischen Revolution Hof halten; Antakya ist ein Distrikt in der Türkei].

Diese Spannungen rühren von zwei unterschiedlichen Visionen der Revolution und der Zukunft her. Die PYD-PKK verfolgt eine konföderalistische und pluralistische Vision von Syrien und der Region als Ganzes, mit einer Anerkennung von Minderheiten und Autonomie für das kurdische Volk. Im Gegensatz dazu stellten sich viele syrische Revolutionär*innen das Syrien von morgen als eine unteilbare Republik vor, inspiriert von einer republikanischen Vision im Stil der französischen Revolution.

Heute ist die Situation noch schlimmer: Der Kompromiss mit Baschar hat sich seit 2018 verschärft, weil die PYD, um sich vor der türkischen Invasion zu schützen und nicht von den Russen und den USA im Stich gelassen zu werden, Baschar um Hilfe gebeten und dem Regime im Gegenzug für den Schutz vor den Invasionen von Erdoğan viele Zugeständnisse gemacht hat. Infolgedessen sind zum Beispiel mehrere Agenten des Regimes in die kurdischen Gebiete von Rojava zurückgekehrt. In Afrin sehen wir sogar die syrische Armee mit Regimefahnen und Baschar-Porträts aufmarschieren. Im Jahr 2021 ging die PYD-PKK sogar so weit, Unruhen zu unterdrücken und Demonstrant*innen zu töten, die in der von ihr verwalteten Stadt Manbidsch gegen die Wehrpflicht protestierten. Für viele syrische Revolutionär*innen ist dies unverzeihlich.

Abschließend ist es meines Erachtens wichtig zu verstehen, dass es sich um zwei unterschiedliche revolutionäre Bewegungen handelt. Auf der einen Seite der syrische Aufstand, eine unvorbereitete Volksrevolution, die eine massive Politisierung einer Bevölkerung ermöglichte, die bis dahin kaum Zugang zu irgendeiner Form von sozialer und politischer Organisation hatte, die aber letztlich zur militärischen Hegemonie bewaffneter islamistischer Gruppen sowie zum Sieg des Regimes von Bashar Al-Assad und seiner Verbündeten führte. Andererseits ist die Revolution in Rojava ein Fall von revolutionärem Kampf, der von einer Partei, der PKK, mit fast 40 Jahren Erfahrung geführt wird. Der PKK ist es gelungen, mit ihren innovativen Experimenten und ihrer Kritik am Nationalstaat die politische Fantasie der Bevölkerung auf internationaler Ebene anzuregen. Dennoch fällt es ihr schwer, die Menschen davon zu überzeugen, dass das Kurdentum nicht im Mittelpunkt ihres Projekts steht, und sie schöpft ihre Kraft immer noch aus den oft autoritären und pragmatischen Strategien des Leninismus und der Befreiungskämpfe des 20 Jh. Ihre Zukunft bleibt ungewiss, da sie zwischen einer kriegerischen Türkei und einem syrischen Regime gefangen ist, das sie ausliefern will. In der syrischen Cantina suchen wir den Dialog mit Aktivist*innen beider Erfahrungshorizonte, solange unsere Gesprächspartner*innen die Existenz einer echten Revolution von Unten in Syrien nicht leugnen und die Opfer des syrischen Volkes in seinem Kampf gegen die Unterdrückung respektieren. Von diesem Ausgangspunkt aus können wir eine kritische Meinung und Debatte über die Haltung der syrischen Revolution gegenüber den Kurd*innen hören.

Welche neue Perspektive habt ihr durch eure Erfahrungen über die Bedeutung des Internationalismus bekommen?

L-: Nach der syrischen Revolution und dem Krieg haben wir das Gefühl, dass wir als Syrer*innen die Welt besser verstehen und besser in der Lage sind, Mythen wie »die internationale Gemeinschaft« oder den Einfluss der »Vereinten Nationen« usw. zu entlarven. Wir lehnen diese Einrichtungen nicht aus rein ideologischen Gründen ab, sondern aufgrund unserer Erfahrungen, die wir Monat für Monat gemacht haben, als die Welt nach und nach die Augen vor den Geschehnissen in Syrien verschloss.

Wir haben schnell gelernt, dass wir uns auf diese Art von Institutionen nicht verlassen können. Auch wenn wir gerne in einer Welt leben würden, in der uns keine Grenzen trennen, sind wir uns bewusst, dass wir im Moment über »Zwischenlösungen« nachdenken müssen, über die wir zusammenarbeiten und unsere Kämpfe innerhalb der bestehenden, von den Staaten auferlegten Trennungen gegenseitig unterstützen können. Aus unserer Erfahrung mit der syrischen Revolution wissen wir, dass der Konflikt, mit dem wir konfrontiert sind, transnational ist, sodass unsere Analyse und unsere Vorschläge zur Veränderung der Situation nicht auf einen nationalen Rahmen beschränkt sein dürfen. Wir hätten uns gewünscht, dass Russ*innen mehr gegen Putins militärische Intervention in Syrien unternommen hätten, dass mehr Libanes*innen sich geweigert hätten, ihre Kinder unter dem Banner der Hisbollah an der Seite des Regimes in Syrien kämpfen zu lassen, dass es in den europäischen Hauptstädten zu direkten Aktionen gekommen wäre, als Aleppo fiel.

Heute ist ganz klar, dass die Menschen das System stürzen wollen. Im Jahr 2019 kam es überall auf der Welt, von Hongkong bis zum Iran, zu Aufständen von unten mit mehr oder weniger ähnlichen Forderungen und Methoden. Wir müssen einen Schritt weitergehen, über Ähnlichkeiten hinausgehen und koordinierte Aktionen und den Aufbau transnationaler Kräfte anstreben.

Wir leben in einer globalisierten Welt, in der wir alle unter demselben internationalen kapitalistischen System leiden, genauso wie unter der ökologischen Krise, genauso wie unter der reaktionären nationalistischen Politik, genauso wie unter dem Patriarchat. Wir leiden nicht in gleicher Weise – je nach Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung und Klasse – aber wenn wir uns entscheiden, den Kapitalismus zu bekämpfen, um zu versuchen, eine Welt zu schaffen, die frei von jeglicher Art von Herrschaft und Ausbeutung ist, gibt es keine andere Alternative als zusammenzuarbeiten. Das ist eine lebenswichtige Notwendigkeit, kein utopischer Luxus.

Der Internationalismus, den wir anstreben, ist kämpferisch. Er ist nicht irgendeine naive und entpolitisierte Version von »wir sind alle in unserer Menschlichkeit vereint«. Es ist ein Internationalismus von unten, der in lokalen Selbstorganisationen und sozialen Bewegungen verwurzelt ist. Wir können unsere internationalistischen Perspektiven auch aus unserer Erfahrung im Exil erklären: Nicht Bürger*in eines Landes zu sein, an einem Ort »illegal« zu sein, bringt dich auf die gleiche Seite wie viele andere Menschen, mit denen du vorher nicht in Beziehung standst. Wenn man zum Beispiel an der Seite äthiopischer Genoss*innen in Frankreich in Sachen Asylfragen kämpft, ist die Perspektive nicht mehr dieselbe. Du kannst die Welt nicht mehr aus der Sicht deines Herkunftlandes oder deines »Gastlandes« sehen – du hast etwas anderes, einen Blickwinkel, von dem aus du den giftigen Nationalismus dekonstruieren kannst.

O-: Ich persönlich habe wirklich versucht zu verstehen, warum die syrische Revolution in Frankreich so wenig Unterstützung gefunden hat. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: die Komplexität des Konflikts, das Fehlen bereits bestehender Verbindungen zu syrischen Aktivist*innen, ein latenter Rassismus, das Fehlen gemeinsamer Bezugspunkte, die Propaganda des syrischen Regimes und seiner Stellvertreter*innen in Frankreich und so weiter.

Außerdem ist der Internationalismus in Frankreich sehr schwach ausgeprägt. Selbst in anarchistischen oder autonomen Kreisen fehlt das Interesse an internationalen Revolten (mit Ausnahme von Rojava, den Zapatistas und Palästina). Es ist kein Zufall, dass es in der französischen Presse keine Artikel über unser Festival »The People want« oder allgemeiner über die syrische Cantina gibt, während es zum Beispiel auf Arabisch oder Englisch schon Artikel gibt.

Leider haben diejenigen, die am lautesten eine internationalistische und antiimperialistische Position zum Ausdruck bringen, oft schlechte Positionen – zum Beispiel Jean-Luc Mélenchon, der Putin in Syrien unterstützt hat, oder Gruppen, die konterrevolutionäre und mörderische Regime oder Gruppen wie die Hisbollah oder das iranische Regime unterstützen.

Für mich war die syrische Revolution eine unglaubliche Quelle der Inspiration. Was man dort lernt, ist der Beweis dafür, dass der Internationalismus auch für uns zu Hause lehrreich ist. Ich glaube, dass jede*r Revolutionär*in, die*der darüber nachdenkt, wie man im 21. Jahrhundert eine Revolution machen kann, sich bemühen muss, die Fehler und Erfolge der Aufstände der letzten zehn Jahre und der kommenden zu verstehen.

Nachdem ich die mangelnde Unterstützung durch die radikale Linke in Frankreich erlebt habe, habe ich mir gesagt, dass sich das nie wiederholen darf, dass wir es uns nicht mehr leisten können, solche Aufstände so wenig zu unterstützen. Deshalb versuchen wir, auf die Situation in der Ukraine einzugehen, zu überlegen, wie wir die Genoss*innen dort nicht isoliert lassen, wie wir ihren Stimmen und ihren Positionen Gehör verschaffen können. Wir glauben, dass die Lehren aus Syrien, insbesondere was die internationale Reaktion angeht, uns viel darüber sagen können, was in der Ukraine passieren wird und was wir von außen tun können. Aus diesem Grund haben wir einen Artikel darüber geschrieben.

Graffiti in Syrien im Juli 2014.

Wie können wir falsche Vorstellungen von »Antiimperialismus« bekämpfen, die dazu dienen, Machthaber wie Assad zu legitimieren? Woher kommen sie und was ist die Ursache dafür?

O-: In Frankreich verteidigt eine gewisse radikale Linke oft die Politik Putins, des iranischen Regimes, der libanesischen Partei Hisbollah und damit implizit auch das syrische Regime, auch wenn es schwieriger ist, dies offen zu sagen.

Ich glaube, dass es nicht nur wichtig ist, sie zu bekämpfen, sondern auch die Ursprünge dieser Positionen zu verstehen, da wir sie in verschiedenen Konflikten auf der ganzen Welt antreffen – und in den kommenden Jahren vielleicht noch mehr, insbesondere nach Putins Einmarsch in der Ukraine.

Unserer Meinung nach hat diese Art von »Antiimperialismus« zwei verschiedene Ursprünge. Erstens entstammt er einer Vision, die aus dem »Campismus« des Kalten Krieges stammt. Während des Kalten Krieges – den Jahren der »Dritten Welt« – lag der ideologische Schwerpunkt auf der Unterstützung von Akteur*innen, die dem Sozialismus nahe standen (die Sowjets, Kuba, die algerische FLN, die palästinensische PLO usw.), gegen die expansionistischen Interessen des »kapitalistischen« Blocks des Westens unter Führung der Vereinigten Staaten. Das Problem ist, dass dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges viele Gruppierungen der radikalen Linken noch immer in dieser aus einem anderen Jahrhundert stammenden Vision feststecken.

In einem Kontext, in dem diese Gruppen nicht mehr mit Staaten oder Organisationen verbunden sind, die ihnen ideologisch nahestehen, hat sich diese Doktrin in die Idee verwandelt, dass man jede*n Gegner*in des amerikanischen und westlichen Imperialismus unterstützen sollte – umso mehr, wenn er*sie zum Beispiel Französ*in oder Amerikaner*in ist. Die Anhänger*innen dieses Ansatzes halten selbst dann daran fest, wenn der*die Gegner*in selbst kriegerisch, totalitär oder tyrannisch ist und sein eigenes Volk massakriert – wie es die chinesischen, iranischen, syrischen und russischen Regime tun.

Heute entspricht diese Sichtweise in vereinfachter und opportunistischer Weise dem Ausdruck »die Feind*in meiner Feind*innen sind meine Freund*innen«. Sie vernachlässigt völlig die Möglichkeit, dass man eine antiimperialistische Position vertreten kann (wie wir es tun), die den westlichen Expansionismus ablehnt (wie z. B. in Libyen, Mali oder im Irak) und gleichzeitig den Expansionismus von Regimen wie Russland oder dem Iran ablehnt. Zum Beispiel, wie es irakische Revolutionär*innen während des Aufstands 2019 taten, indem sie »weder USA noch Iran« skandierten.

Der andere Ursprung dieses falschen »Antiimperialismus« ist die Art und Weise, wie die palästinensische Sache mit der selbsternannten »Achse des Widerstands« gegen Israel in Verbindung gebracht wird, die angeblich vom iranischen Regime, Syrien und der libanesischen Hisbollah verkörpert wird. Dies hat zur Folge, dass in Frankreich mehrere Aktivist*innen – von denen viele aus armen Stadtvierteln stammen – bei der lokalen Organisierung hervorragende Arbeit leisten, aber auf internationaler Ebene völlig reaktionäre Positionen vertreten. Dazu gehört die Unterstützung von Bashar Al-Assad, der Hisbollah oder des iranischen Regimes unter dem Vorwand, sie seien die einzigen glaubwürdigen Gegner des Hauptfeindes Israel.

All dies lässt sich durch den fortschreitenden Niedergang der panarabischen, sozialistischen oder linken Bewegungen in den letzten dreißig Jahren erklären. An ihre Stelle ist etwas getreten, das als »Volkswiderstand« dargestellt wird, in Wirklichkeit aber eine Koalition der Autoritären ist, verkörpert durch das iranische Regime, das Assad-Regime und die libanesische Partei Hisbollah als zentrale Figuren bei der Verteidigung der palästinensischen Sache.

Drei Ereignisse haben bei der Entwicklung dieser Situation eine entscheidende Rolle gespielt.

1.) Die iranische Revolution von 1979 mit der Machtübernahme der Mullahs (zum Nachteil der marxistischen Revolutionär*innen innerhalb der Revolution). Sie positionierten sich schnell als die großen Feind*innen des Zionismus in einem Kontext, in dem nur wenige arabische Republiken ihre Opposition gegen Israel wirklich aufrechterhielten. Bis heute sind sie eine Quelle massiver finanzieller Unterstützung für die palästinensische Partei Hamas.

2.) Der Krieg im Libanon zwischen 1975 und 1990, in dem die palästinensische und libanesische Linke besiegt wurde. Die Hauptgewinner waren die schiitischen Parteien und insbesondere die Hisbollah (die seit 1982 vom iranischen Regime finanziert und bewaffnet wird), da sie die einzige Akteurin ist, die im Namen ihrer Rolle im »Widerstand« gegen Israel Waffen behalten darf.

3.) Schließlich die israelische Offensive im Libanon im Jahr 2006. Während dieses Konflikts gelang es der Hisbollah, der israelischen Armee die Stirn zu bieten, was ihr sowohl im Libanon als auch in der gesamten Region eine besondere Aura verlieh. Ein libanesischer Anarchist erzählte mir einmal, dass sich in diesem Moment viele linke Aktivist*innen und libanesische Kommunist*innen, die sich seit Jahren für die palästinensische Sache engagieren, der Hisbollah anschlossen. Er selbst hatte versucht, an die Grenze zu gehen, um sich anzuschließen, wurde aber abgewiesen, weil er Sunnit und nicht Schiit war.

Dies berührt einen komplizierteren Punkt: Es gibt derzeit keine Akteur*innen, die unsere Positionen verteidigen und in der Lage sind, sich gegen Israel zu behaupten. Aus diesem Grund hat in Frankreich ein ähnlicher Wandel stattgefunden, und viele Aktivist*innen, die früher die palästinensische Sache von der Linken aus verteidigt haben, unterstützen jetzt reaktionäre Gruppen. Im Jahr 2006, zur Zeit der israelischen Bombenanschläge, kam es in Paris zu großen Demonstrationen und sogar zu Ausschreitungen. Die palästinensische Sache ist wohl das Thema, das die meisten Menschen in den ärmeren Vierteln mobilisiert. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Ereignisse für diese Generation einen wichtigen Moment der Würde in einem so rassistischen Land wie Frankreich symbolisierten, in dem Muslim*as ständig stigmatisiert und unterdrückt werden. Aus diesem Grund sehen viele Menschen, die sich bei diesen Demonstrationen politisiert haben, Gruppen wie die Hisbollah immer noch als Held*innen der palästinensischen Sache und sogar des Antiimperialismus.

Leider sind Sulemani und Hassan Nasrallah nicht mit Che Guevara oder Ben Barka zu vergleichen. Letztere haben keine reaktionäre und autoritäre Ideologie verteidigt und keine Revolten in ihren eigenen Ländern niedergeschlagen, wie es Sulemani für das iranische Regime in Syrien, im Irak oder zu Hause im Iran getan hat.

Schließlich ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Hisbollah von 2006 nicht die Hisbollah von heute ist. In den letzten sechzehn Jahren hat sie Tausende junger Libanes*innen in den Tod nach Syrien geschickt, um zu versuchen, eine demokratische Revolution niederzuschlagen; sie hat Gegner*innen ihrer Politik ermordet; sie hat den Aufstand im Libanon 2019 niedergeschlagen und scheint eine echte Rolle bei der Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 gespielt zu haben. Im Libanon selbst genießt die Hisbollah nicht mehr denselben Ruf. Sie hat Hunderte von Überläufer*innen zu verzeichnen. Diejenigen, die in der libanesischen Linken das syrische Regime und die Hisbollah unterstützen (die weitaus weniger zahlreich sind), werden zunehmend von Volksversammlungen ausgeschlossen.

Die Beibehaltung einer festen Vorstellung von den politischen Regimen im Nahen Osten ist ein orientalistischer Ansatz, der die Veränderungen leugnet, die zu unserer heutigen Situation geführt haben. Es ist, als würden wir heute noch das algerische Regime angesichts des Hiraks [der algerischen Proteste von 2019-2021] unter dem Vorwand unterstützen, dass die Generäle die Erben der algerischen Revolution sind, die die französische Kolonialherrschaft vertrieben hat. Seitdem hat dieses Regime alle Macht an sich gerissen, das Volk zum Schweigen gebracht, einen Bürgerkrieg entfesselt und Dutzende von Revolten unterdrückt. Tatsächlich denkt niemand daran, es zu unterstützen.

Aus all diesen Gründen ist es dringend notwendig, unsere Vorstellungen von Internationalismus und Antiimperialismus zu aktualisieren. Diese Regime und Parteien verkörpern nicht die Emanzipation der Völker des globalen Südens oder der »Blockfreien«. Sie sind autoritäre und konterrevolutionäre Kräfte, die ihre Völker ersticken.

Die vermeintlichen »Antiimperialist*innen« äußern sich nie zu diesen Fragen. Sie verlieren kein Wort über die politische Gewalt, der die Syrer*innen, die Iraner*innen, die Russ*innen selbst zum Opfer fallen. Schlimmer noch, sie verbreiten Desinformationen und Propaganda direkt aus diesen autoritären Regimen. Indem sie den Bewohner*innen dieser Länder jegliche politische Rolle vorenthalten, selbst denen, die ideologisch ähnliche Positionen vertreten, verkörpern die falschen »Antiimperialist*innen« das eigentliche Wesen des imperialistischen und rassistischen Privilegs.

Der Rat, den wir den Verfechter*innen dieser Politik geben möchten, besteht darin, wieder aufmerksam auf die Basis zu hören, auf die Stimme der Bewohner*innen dieser Länder, insbesondere auf jene, die unsere Ideen teilen – Egalitarismus, Feminismus, direkte Demokratie, Selbstbestimmung. Anstatt über die Bevölkerung oder die Arbeiter*innenklasse zu reden, sollten wir sie aufsuchen, wenn sie sich erheben – nicht nur im Westen, sondern auch in Syrien, der Ukraine oder im Iran. Zumal viele Exilant*innen aus diesen Ländern in den westlichen Ländern ankommen.

In gewisser Weise ist es für manche Menschen bequemer, diese Regime zu unterstützen, weil sie dann starke Figuren haben, die sie verteidigen können – das macht die Sache sehr einfach. Aber wir können diese Gruppen nicht unterstützen. Sie zu unterstützen würde bedeuten, dass wir uns von den Genoss*innen im Exil hier und von den potenziellen Genoss*innen, die dort für ihr Leben, ihre Freiheit und ihre Würde kämpfen, abschneiden.

Deshalb haben die syrische Cantina und das Team von Peuples Veulent den Kampf gegen diese Art von »Antiimperialismus« zu einem ihrer Hauptziele gemacht. Unserer Meinung nach sind die wertvollsten Standpunkte zu diesem Thema oft diejenigen, die direkt aus dem Nahen Osten kommen – weil sie lange Zeit zwischen dem Teufel (Amerika) und dem tiefen blauen Meer (den autoritären Regimen der Region) gefangen waren und Diskurse entwickelt haben, die in der unmittelbaren Situation vor Ort verankert sind.

Wir müssen uns eingestehen, dass die Welt nicht mehr dieselbe ist wie früher, dass wir die Waisen der emanzipatorischen Ideologien sind, die mit dem Kapitalismus konkurrieren. Aber eines ist sicher: Es wird uns nicht gelingen, glaubwürdige Alternativen aufzubauen, indem wir uns in die Arme autoritärer Regime stürzen.

Mehr leckeres Essen, mit freundlicher Genehmigung der syrischen Cantina.

Was könnt ihr anderen, die möglicherweise Geflüchtete werden, darüber sagen, wie sie ihre Organisierungsbemühungen in einem fremden Kontext fortsetzen können? Und an locals, die Geflüchteten dabei unterstützen wollen?

L-: Den Geflüchteten sagen wir: Wenn aus irgendeinem Grund einige Regierungen Menschen aus eurem Land und eurer Situation etwas entgegenkommen oder weniger repressiv sind, habt nie das Gefühl, dass ihr ihnen etwas schuldet. Es sind immer die Menschen, die locals, die Vereine und Organisationen, die die meiste harte Arbeit leisten, um Menschen im Exil willkommen zu heißen. Die Staaten sind nie ganz auf unserer Seite.

Versucht, euch so gut wie möglich über die verschiedenen Kämpfe und die verschiedenen politischen Gruppen zu informieren, die an eurem Exilort aktiv sind. Um Verbindungen zu den Aktivist*innen vor Ort aufzubauen, ist es wichtig, ihre Kämpfe zu verstehen: sprecht mit ihnen, stellt ihnen Fragen, bittet sie, euch z.B. die militante Literatur, die sie lesen, zur Verfügung zu stellen; findet Gemeinsamkeiten, die ihr teilt und für die ihr kämpfen könnt.

Erwartet nicht, dass die Menschen zu Hause eure Sache unterstützen, nur weil ihr Geflüchtete*r seid oder weil ihr vor einem Krieg oder einer Naturkatastrophe geflohen seid. Wenn ihr beabsichtigt, beständige und dauerhafte Verbindungen zu lokalen Aktivist*innen aufrechtzuerhalten und die Organisierung aus dem Exil in Bezug auf Probleme in der Heimat fortzusetzen, ist es wichtig, über unmittelbare Reaktionen und Hilfsaktionen hinauszugehen, um Vertrauen und Freundschaften aufzubauen. Manchmal ist der beste Weg, seinen Kampf mit den locals zu teilen, Konzerte und Filmvorführungen zu organisieren, zu tanzen und gemeinsam zu essen. Wir brauchen Freude, Humor und Festlichkeit in unseren Kämpfen, besonders wenn wir schwere Traumata in uns tragen. Denkt daran, dass es an dem Ort, an dem ihr im Exil lebt, Menschen anderer Nationalitäten gibt, ob sie nun Geflüchtete sind oder nicht, die sich vielleicht in einer ähnlichen Situation befinden wie ihr. Mit ihnen in Kontakt zu treten, Bündnisse zu schließen und sich mit ihren Gemeinschaften abzustimmen, kann ermutigend und aufschlussreich sein.

Den locals sagen wir: Die Zusammenarbeit mit Geflüchteten sollte sich nicht auf humanitäre Aktionen oder Solidaritätsarbeit beschränken. Es ist eine große Chance, verschiedene Taktiken, politische Praktiken und Strategien kennenzulernen, die ihr an euren lokalen Kontext anpassen könnt; es ist eine Gelegenheit, Inspiration zu finden und Überlegungen und Analysen zu vergleichen. Hört euch an, was sie zu sagen haben: nicht nur die Geschichten und Zeugnisse dessen, was sie erlitten haben – auch wenn diese sehr wichtig sind –, sondern auch ihre Ideen, wie ein Wandel in ihren oder euren Ländern aussehen könnte.

Was können Menschen auf der ganzen Welt tun, um Geflüchtete in der syrischen Diaspora und in anderen Diasporas zu unterstützen? Welche Ressourcen und Projekte müssen wir schaffen?

L-: Es gibt viele Dinge, die die Menschen tun können, um den Diasporagemeinschaften und Geflüchteten in ihren Ländern zu helfen:

  • Kämpft gegen die rassistische und fremdenfeindliche Politik eures Landes.
  • Informiert euch über die Kämpfe in anderen Ländern und versucht, in euren lokalen und nationalen Kämpfen internationalistische Standpunkte einzunehmen.
  • Gebt Exilant*innen den Raum, ihre Visionen, Ideen und Analysen auszudrücken und zu teilen. Hört ihnen zu. Vielleicht lernt ihr noch das eine oder andere.
  • Behandelt Exilant*innen nicht nur als Menschen, die Hilfe brauchen, sondern auch als Akteur*innen, die über die Angelegenheiten ihrer Herkunftsländer oder ihres Flüchtlingsstatus hinaus politisch intervenieren können.
  • Stellt ihnen bei Bedarf eure Ressourcen zur Verfügung: Drucker, Kontakte und mehr.
  • Stellt Räume und Einrichtungen zur Verfügung, die es den Exilgemeinschaften ermöglichen, sich selbst zu organisieren. Eure Unterstützung und euer Rat sind wichtig, aber versucht nicht, ihre Selbstorganisation zu steuern.
  • Es ist möglich, dass ihr politische Meinungsverschiedenheiten haben werdet, dass ihr nicht in allem übereinstimmen werden. Das ist normal; es ist wichtig, dass ihr in der Lage seid, diese Meinungsverschiedenheiten anzusprechen und zu diskutieren. Habt keine Angst vor Meinungsverschiedenheiten: das ist eine Chance für alle, den Dogmatismus loszulassen, und eine Chance für die Exilant*innen, eine neue politische Kultur und andere Wege zu entdecken. Vielleicht lernt ihr auch das eine oder andere.
  • Versucht so weit wie möglich, Übersetzungen in andere Sprachen anzubieten, um Diskussionen und Aktivitäten für Neuankömmlinge zugänglicher zu machen.
  • Bietet so viel wie möglich materielle, logistische, sprachliche und administrative Unterstützung für Einzelpersonen oder Kollektive an.

Wir brauchen mehr Übersetzungen aus dem Arabischen in andere Sprachen und umgekehrt. Das Tolle an eurer Arbeit bei CrimethInc. ist, dass die Texte sofort in mehrere Sprachen übersetzt werden und so Aktivist*innen und Realitäten aus der ganzen Welt miteinander verbunden werden. Es ist sehr wertvoll, vor allem in Bezug auf Situationen wie die, die heute in der Ukraine passieren, in der Lage zu sein, Berichte aus erster Hand von Genoss*innen vor Ort in Englisch, Französisch, Deutsch und anderen Sprachen zu erhalten. In der Cantina beginnen wir darüber nachzudenken, wie wir uns aktiver an der Übersetzung von Texten aus dem und ins Arabische beteiligen können. Dies ist also ein offener Aufruf: Wenn jemand einen Teil seiner Zeit dafür opfern möchte, zögert nicht, uns unter cantine.syrienne@gmail.com zu kontaktieren.

Davon abgesehen brauchen wir eine neue Internationale von unten – ob in Form von Netzwerken, regelmäßigen Treffen und Begegnungen, Organisationen, Plattformen oder Foren. Wir wissen nicht, wie sie aussehen könnte, aber wir müssen ernsthafter über Strukturen nachdenken, die in der Lage sind, konkrete transnationale Solidarität zu leisten, strategische Vorschläge zu sammeln und ein gemeinsames alternatives Narrativ zu entwickeln, um auf den schrecklichen nationalistischen und reaktionären Kurs der Welt Einfluss zu nehmen. Was in der Ukraine geschieht, macht dies umso dringlicher.

Graffiti in Syrien im Jahr 2022.

Über welche Quellen können sich die Leser*innen über die Situation in Syrien und in der syrischen Diaspora informieren? Wie können wir euch und andere ähnliche Projekte unterstützen?

Um über Nachrichten und Mobilisierungen aus Syrien auf dem Laufenden zu bleiben oder um die Arbeit der gegenseitigen Hilfe zu unterstützen:

Auf cantinesyrienne.fr findet ihr unsere Aktivitäten und einige Artikel auf Französisch und Arabisch über die syrische Revolution und andere Kämpfe in der Welt.

Ihr könnt die syrische Cantina hier finanziell unterstützen..

  1. O- ist das einzige nicht-syrische Mitglied der Cantina, das an diesem Interview teilgenommen hat.